NEUIGKEITEN AUS UNSERER SCHULE

22. Türchen (Adventskalender)

22. Türchen: Das schönste Geschenk 

Ich laufe durch die volle Innenstadt.

Überall Menschen, die hektisch nach den letzten Geschenken suchen. Mir ist viel zu warm, und ich fühle mich eingedrängt, was meine viel zu dicke und schwere Jacke nicht besser macht. Mein Schal rutscht mir vom Hals und droht schon über den dreckigen Schnee-Salz-Matsch zu schleifen, doch ich schaffe es, ihn mir noch einmal umzuwerfen. Natürlich muss mir dabei der Handschuh aus der Jackentasche fallen.

Ich atme entnervt aus und knalle die Tüten mit einem kurzen, aber lauten Aufschrei auf den Boden. Eine ältere Dame geht kopfschüttelnd an mir vorbei, und das Kind neben mir ruft seiner Mutter „Schau mal!“ zu und zeigt mit ausgestreckter Hand auf mich. Na großartig. Ich hasse es, es ist jedes Mal das Gleiche. Genau deswegen kann ich die Adventszeit nicht ausstehen, es ist purer Stress, und trotzdem tue ich es mir jedes Jahr aufs Neue an.

Zu Hause angekommen stehe ich in meiner Wohnung und fühle mich genauso leer wie sie. Niemand ist da, ich habe nicht geschmückt, geschweige denn Plätzchen gebacken (obwohl ich es mir fest vorgenommen habe und auch mindestens fünfmal gefragt wurde), noch steht ein Tannenbaum in meinem Wohnzimmer. Und gerade erst habe ich Geschenke besorgt. Ich fange an zu weinen, bis ich schließlich flennend, wie ein kleines Kind, auf dem Sofa sitze und meine Mama anrufe.

Eine Stunde später stehe ich vor dem Haus meiner Eltern. Derweil hat es angefangen zu schneien, und ich gehe durch den Vorgarten, in dem ich damals mit meiner Schwester Schneeballschlachten geführt habe. Ich denke gerade daran, wie schön es wäre, wenn sie jetzt auch hier wäre, da fällt mein Blick auf die im Schnee hinterlassenen Schuhabdrücke.

Angekommen an der Tür, klingele ich, und meine Mama und meine Schwester stehen mir strahlend gegenüber. Völlig überwältigt davon, dass sie tatsächlich auch da ist, falle ich den beiden in die Arme. Meine Mama hat sie nach unserem Telefonat wohl angerufen und gefragt, ob sie auch vorbeikommt. Ich ziehe mir die Rentier-Hausschuhe an, die neben dem kleinen Weihnachtselfen stehen, und gehe durch den Flur in Richtung Küche.

Die gesamte Wohnung ist feierlich geschmückt, und das gelbe, warme Licht, begleitet von dem Geruch nach Mandarinen und Zimt, umhüllt den Raum. Mein Papa steht hinter der Kücheninsel und rollt gerade einen Teig. Um ihn herum liegen unzählige Ausstechförmchen. Er begrüßt mich herzlich mit einer festen Ein-Schulter-Umarmung, das Nudelholz noch immer in der anderen Hand, und drückt mir einen Kuss auf den Kopf. „Ihr backt Plätzchen?“, frage ich, den Tränen fast schon wieder nahe. Meine Mutter streicht mir über den Kopf. „Na klar, nachdem du so aufgewühlt angerufen hast, haben wir uns gedacht, warum eigentlich nicht? Ist doch schön, mal wieder als Familie zusammenzukommen und zu backen. Vor allem einen Tag vor Weihnachten, wir hatten bisher auch nicht die Zeit dazu.“ Zufrieden schaut meine Schwester mich an. „Und wenn wir noch ein wenig warten, ist der Schnee bestimmt hoch genug, um eine Schneeballschlacht zu machen, diesmal gewinne ich auch!“ „Ha, denkst du“, grinse ich sie an. „Oh ja, und einen Schneeengel, dann kann ich davon ein Foto machen, so wie früher, wisst ihr noch?“, wirft meine Mutter ein.

Nach der erfolgreichen Schneeballschlacht einige Stunden später frage ich meine Schwester, wieso sie nicht mit ihrem Freund Weihnachten feiert, und sie berichtet mir in einem emotionalen Gespräch, dass sie sich vor ein paar Tagen getrennt haben. Arm in Arm gehen wir wieder ins Haus, aber unsere Mutter kommt uns schon entgegen, ihre Polaroid-Kamera in der Hand. Und drei Minuten später liegen meine Schwester, mein Papa und ich im Schnee, und ich fühle beim Aufstehen den zu schmelzen beginnenden Schnee in meinem Nacken. Lachend bestehen wir darauf, dass auch meine Mama einen Schneeengel machen solle. Geschlagen schmeißt auch sie sich in den Schnee und beginnt, mit Armen und Beinen zu rudern, wovon ich natürlich ein Foto schieße.

Am Abend sitzen wir alle am Kamin, mit einem Kakao in der Hand, ich mit meiner Wärmflasche auf dem Schoß, und unterhalten uns. Wir beschließen, am nächsten Tag rodeln zu gehen und uns gegenseitig eine Weihnachtskarte zu basteln. Meine Eltern betonen noch einmal, dass sie kein Geschenk von mir erwarten würden, sondern dass das schönste Geschenk dieses Jahr war, dass wir alle beisammen sein konnten.

Nun liege ich gemütlich und zusammengekuschelt mit meiner Schwester in einem der Betten in unserem alten Kinderzimmer. Wir unterhalten uns noch etwas, und ich weiß, ich kann jetzt voller Vorfreude auf den Heiligabend einschlafen und fühle mich so sorgenfrei wie früher (als Kind), als der ganze Alltagsstress noch weit entfernt war. Und ich bin froh, meine Mama angerufen zu haben.

Vielleicht brauche ich mir nächstes Jahr auch gar nicht so viel Stress zu machen, ich habe ja Menschen um mich herum, die mir helfen und die mich bedingungslos liebhaben.

 



Autorin: Mia Schmidt, Jg. 12

Bilddruck: Luis Karlowski, Jg. 5